Ein Schatz auf Rezept


"Artzney Buch" aus dem 16. Jahrhundert hat ein Knittlinger Faksimile-Verlag auf preisgekrönte Weise nachgedruckt
- 100 Exemplare an den Vatika
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KNITTLINGEN. In Knittlingen rettet ein Verlag altes Wissen in die neue Zeit. Mit einem preisgekrönten Prachtbuch, das dem Papst übergeben wurde. Aber auch mit internetfähigen Ideen - und Heiltränken wie zu Fausts Zeiten.

alexander heilemann



Ornamente in 23 Karat Goldprägung: Mit diesem Prachteinband erhielt 1571 Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz Christoph Wirsungs "Artzney Buch" zum Geschenk. privat

Man braucht einen Moment, bis man sich dazu überreden kann, den goldglänzenden Buchdeckel zu öffnen und die weichen, gräulichen Seiten umzublättern. Man braucht sogar einen Augenblick, um festzustellen, dass das wirklich ein Buch ist, was man da in Händen hält. Auf den ersten Blick sieht es wie ein Schatzkästchen aus. Der Ledereinband ist verborgen unter einer Prägung aus 23-karätigem Gold. Auch jede einzelne Seite trägt einen Goldrand. Dazu Ornamente in sieben beziehungsweise fünf Farben. Von Hand in Buchschnitt gestochen findet sich die Jahreszahl 1571. In diesem Jahr ist das "Artzney Buch" von Christoph Wirsung einst dem Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz geschenkt worden. Und es hat anno 1571 exakt so ausgesehen wie an diesem Morgen im Jahr 2011 auf dem kleinen Besprechungstisch im Knittlinger Büro des Faksimile-Verlags Bibliotheca Palatina.

Wie das Original

Faksimile - der lateinische Ausdruck für "Mach es ähnlich" steht für originalgetreue Kopien oder Reproduktionen historischer Dokumente. Es ist damit praktisch ein Stück Renaissance-Buchkunst, die Gerd Schweizer einem in die Hände geben kann. Seit Januar ist der Knittlinger Geschäftsführer des Faksimile Verlags, dessen Sitz die Fauststadt seitdem ist. Derzeit gilt noch: Ein Verlag - ein Buch. Aber was für eines. Im April hat Bibliotheca Palatina für das handwerkliche Glanzstück den GWA-Award erhalten: den Preis des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen. Im Dezember haben Peter Mack, der das Buch federführend gemacht hat, und Jörg Burmistrak für den Verlag das "Artzney Buch" Papst Benedikt XVI. persönlich übergeben. 100 Exemplare von den 950 geplanten Büchern gehen an die Bibliothek des Vatikans.
Im Vatikan liegt auch das Original des "Artzney Buchs". Und zwar seit 1626. Deutschland ging in den Wirren des 30-jährigen Krieges unter. Auch Heidelberg war betroffen. Bayrische Truppen verschleppten aus der kurpfälzischen Residenzstadt die Bibliothek, die deren Kurfürsten zusammengetragen hatten. "Eine der bedeutendsten der Welt", sagt Schweizer. Die Bibliotheca Palatina, nach der der Verlag benannt ist, blieb aber nicht in Bayern. Der Vatikan erhob Anspruch darauf. In 721 Kisten soll sie über die Alpen transportiert worden sein. Mitten in einem Religionskrieg wollte der Heilige Stuhl den Wissensschatz der kurpfälzischen Protestanten an sich bringen. So schildert es Armin Schlechter im wissenschaftlichen Kommentarband zum "Artzney Buch". Dass der Vatikan die Bücher unter Verschluss hielt, sorgte dafür, dass sie gut erhalten geblieben sind. Und dass sie nicht beispielsweise bei der Verwüstung Heidelbergs 1693 im pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört werden konnten.
Christoph Wirsungs Buch, heute eine 4850 Euro teure Kostbarkeit, war zu seiner Zeit so etwas wie ein Bestseller, sagt Gerd Schweizer. "Es war das erste auf Deutsch geschriebene Arznei-Handbuch, das breite Schichten lesen konnten", so der Knittlinger. Brummschädel? Melancholie? Frauenleiden? Für alle möglichen Beschwerden konnten die Menschen nachschlagen, welches Kraut dagegen gewachsen ist. Nicht wenige Rezepturen Wirsungs, der selbst Apotheker war, könnte man auch heute noch ausprobieren, meint Schweizer. Deshalb macht der Verlag das selbst. Auf dem Tisch steht ein Fläschchen, das eine braune Flüssigkeit enthält. Ein Kräuterwein wie ihn Wirsung 1568, als er sein Buch schrieb, gebraut hätte. "Ein bisschen schmeckt es wie ein Underberg", verrät Schweizer. Auch solche Produkte will der Verlag anbieten.

Altes Wissen

Das alte Wissen soll auch so in die moderne Zeit gerettet werden. Schweizers Pläne gehen aber noch weiter. Medizin des 16. Jahrhunderts als App fürs Handy? Ist geplant. Facebook und Twitter einbeziehen? Unbedingt. Eine Internetseite ist im Aufbau. Aber natürlich stehen Bücher im Mittelpunkt. Eine Art Übersetzung des alten Werks in heutiges Deutsch und in heutige Schrift erscheint in wenigen Tagen. Weitere Faksimiles aus der Bibliotheca Palatina in ihrem vatikanischen Exil sind im Blick. Ein Werk über Kriegskunst aus dem 14. oder über Pferdezucht aus dem 16. Jahrhundert nennt der Knittlinger als Beispiele. Ende Mai wird über die Pläne mit dem Vatikan gesprochen.
Es mag Zufall sein, dass der Spezialverlag nun seinen Sitz in Knittlingen hat. Aber das "Artzney Buch" passt bestens in die Faust-Stadt. Der historische Doktor Johannes Faust soll um 1541 gestorben sein. Wirsung war damals 41 Jahre alt. Seine Rezepturen stammen aus Fausts Zeit.



Ein Buch für den Papst: Raffaele Kardinal Farina, der das Faksimile-Projekt begleitete, stellt Benedikt XVI. mit Verlagsvertretern den
Luxus-Nachdruck vor.




Preisgekröntes Handwerk: Den GWA Award für das Faksimile
nahmen Gerd Schweizer (links) und Jörg Burmistrak (rechts) vom Verlag Bibliotheca Palatina mit Drucker Rainer Bender entgegen.




Prächtig geschmückt ist auch der Salone Sistino der vatikanischen Bibliothek. Dort befindet sich das Original des "Artzney Buchs".

N.N.

Quelle
Verlag     : J. Esslinger GmbH und Co. KG.
Publikation     : PZ Mühlacker
Ausgabe     : Nr.103
Datum     : Donnerstag, den 05. Mai 2011
Seite     : Nr.21